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Auch Lügen, die aus der Not heraus entstehen oder im Scherz gesprochen werden, das Verbreiten von Gerüchten, die Diffamierung, das lügenhafte Auslassen und die Übertreibung verletzen das Gebot der Wahrhaftigkeit.

min Lesezeit | Bernhard Meuser

Was ist die Lüge?

Eine „Lüge“ ist eine bewusste Falschaussage (weshalb ein „Irrtum“ allein noch keine Lüge darstellt). In YOUCAT 452 heißt es: „Lügen bedeutet, bewusst und gewollt gegen die Wahrheit zu reden oder zu handeln. Wer lügt, betrügt sich selbst und täuscht andere, die ein Recht darauf haben, die volle Wahrheit eines Sachverhalts zu kennen.“ Man kann mit Worten lügen, aber auch mit dem Körper; so heißt es in YOUCAT 403 : „Menschen, die Sex suchen, ohne zu lieben, lügen, denn die Nähe der Körper entspricht nicht der Nähe ihrer Herzen.“

Die Lüge „ist eine Form der Gewalt“ (YOUCAT 452); sie zerstört jede Gemeinschaft im Ansatz, denn dem Lügner kann man nicht mehr trauen. Gott anzurufen, wenn man lügt, ist besonders verwerflich. „Gott“, sagt YOUCAT 359,, „ist ganz Wahrheit. Wer die Wahrheit selbst bei Ihrem Namen anruft, sie aber zur Bezeugung einer Lüge verwendet, versündigt sich schwer.“

Christen sind verpflichtet, „Zeugnis für die Wahrheit ablegen und darin Christus nach(zu)folgen, der vor Pilatus gesagt hat: ‘Ich bin geboren und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen.’ (Joh 18,37). Das kann sogar heißen, dass ein Christ aus Treue zur Wahrheit und aus Liebe zu Gott und den Menschen sein Leben hingibt. Diese stärkste Form des Eintretens für die Wahrheit nennt man Martyrium.“ (YOUCAT 454). Auch Lügen, die aus der Not heraus entstehen oder im Scherz gesprochen werden, das Verbreiten von Gerüchten, die Diffamierung, das lügenhafte Auslassen und die Übertreibung verletzen das Gebot der Wahrhaftigkeit.

Was sagt die Heilige Schrift?

Jesus nennt den Teufel „Vater der Lüge“ (Joh 8,44) Schon im Alten Testament erscheint die Lüge als Anzeichen für das Grundböse. Der Psalmist betet: „Halte mich fern vom Weg der Lüge, begnade mich mit deiner Weisung!“ (Ps 119,29). Deshalb findet sich das Verbot zu lügen („Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen“, Ex 20,16) als das Achte in den Zehn Geboten.

Eine Falschaussage, so fordert Dtn 19,19, soll mit den härtesten Mitteln bestraft werden: „Du sollst das Böse ausrotten aus deiner Mitte“. Jesus bekräftigt das Gebot der wahrhaftigen Rede: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“ (Mt 5,37) Wer zu Jesus gehören möchte, kann nicht gleichzeitig in falschen Zuständen verharren: „Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit ihm haben, und doch in der Finsternis leben, lügen wir und tun nicht die Wahrheit.“ (1 Joh 1,6). So ermahnt der Apostel diejenigen, die zum Glauben gekommen sind: „Legt den alten Menschen ab, der in Verblendung und Begierde zugrunde geht, ändert euer früheres Leben. ... Legt deshalb die Lüge ab und redet untereinander die Wahrheit.“ (Eph 4,22.25).

Am Tag des Gerichtes, wenn die 144.000, die dem Lamm gefolgt sind, vor den Thron gerufen werden, werden sie an einem bestimmten Kriterium erkannt: „ ... in ihrem Mund fand sich keinerlei Lüge.“ (Offb 14,5)

Die kleine YOUCAT-Katechese

Ich habe nur einen Fehler: Ich lüge.

Alle Menschen haben etwas zu verstecken. Im Grunde wissen sie, dass es nicht besonders gut funktioniert. In einer Satire von Wolfgang Hildesheimer macht sich jemand einen Spaß daraus, nach und nach alle möglichen Leute aus der Nachbarschaft anzurufen: „Hören Sie, es ist alles entdeckt ...“ – „Was, alles ...?“ – „Ja, alles! ... Fliehen Sie!“

Nach und nach gehen in dem Viertel die Lichter aus. Die Angerufenen suchen ihr Heil in der Flucht. Keiner kann keinem vertrauen. Alle haben wir etwas, von dem möglichst niemand etwas wissen soll. Wäre es nicht schrecklich, wenn wir mit unseren Lebenslügen entdeckt werden würden?

Der ganz normale Wahnsinn der Lüge

Ein bisschen Schummeln gehört zum Geschäft, sagen viele – und wundern sich, wenn halbierte Wahrheiten und komplette Falschaussagen zum kleinen Einmaleins in der Politik gehören. Man betrachtet es als ganz normalen Vorgang, wenn Statistiken ideologisch frisiert oder Studien mit gewünschten Ergebnissen bestellt werden. Man trifft gemeinsame „Sprachregelungen“ und weiß im Grunde genau, dass es sich um eine gesellschaftlich akzeptierte Form von Lüge handelt. „Traue keiner Bilanz, die du nicht selbst gefälscht hast“ zwinkern sich zwei zu, die der Wirklichkeit etwas auf die Sprünge geholfen haben. Das Ergebnis, der Erfolg muss her! Das steht über allem.

Um die Dinge in den Griff zu bekommen, braucht man eine gute Strategie, also einen Schlachtplan. Das Wort „Strategie“ kommt übrigens aus dem Altgriechischen und bedeutet dort „Feldherr“. Nun sind Strategien nicht an sich böse; eine Strategie zu haben, ist sogar ein Zeichen von Klugheit und überlegtem Handeln.

Kein Händler, kein Wirtschaftsunternehmen kommt ohne Strategie aus. Aber langfristig basiert das Verhältnis zwischen allen, die etwas voneinander haben möchten, auf einem einzigen Wort: Vertrauen. Jean-Paul Getty, der einmal der reichste Mann seiner Zeit war, soll gesagt haben: „Wenn man einem Menschen trauen kann, erübrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Vertrag nutzlos.“

Es gibt kein richtiges Leben im falschen

Wenn dir jemand sagt: „Ich habe nur einen einzigen Fehler: „Ich lüge“, dann wird man ihm nicht begeistert um den Hals fallen, weil er der Vollkommenheit sehr nahe ist. Man kann ihm nicht vertrauen. Er könnte ja gelogen haben und in Wahrheit alle Fehler dieser Welt in sich vereinigen. Mit einem solchen Menschen ist keine Freundschaft, kein Vertrag, keine Liebesbeziehung, kein Geschäft, keine Verabredung, kein Gespräch möglich. Das Gemeinsame hätte keine Basis. „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“, hat der Philosoph Adorno einmal gesagt, in seinen „Minima Moralia“. Ich müsste immer befürchten, über den Tisch gezogen zu werden.

Die fließenden Übergänge, in denen die Wahrheit der Nützlichkeit geopfert wird, haben sich im Großen wie im Kleinen in unseren Alltag eingeschlichen. Und das ist fatal, weil mit jedem Augenzwinkern, mit jedem Hinnehmen unkorrekter Sprache oder unkorrekter Beziehungen, die ganze Gesellschaft immer mehr durchzogen wird von einem Lügengespinst, bis man dort ist, wo jeder nur noch an seiner eigenen Wahrheit bastelt, die er mit List und Tücke behauptet. Wer der Lüge und Korruption die Hand gibt, wird selbst zum Lügner und Korrupten. Und wenn das in der Kirche passiert, dann stehen wir vor dem Abgrund, der sich gerade in der Missbrauchskrise auftut.

Wie kommt das Vertrauen zurück?

Wie kommt aber das Vertrauen zurück in die Welt? Indem es mehr und mehr Menschen gibt, die ihre Waffen niederlegen und sich zeigen wie sie sind: schwach, verletzlich, irrend, in Sünde verstrickt, nicht recht vorzeigbar. Solche Menschen sind eine Einladung an andere, sich auch von ihrer gelogenen Scheinidentität zu befreien und sich zu zeigen wie sie sind: schwach, verletzlich, irrend, in Sünde verstrickt, nicht recht vorzeigbar.

Christen haben einen Wissensvorsprung: Sie sind sich im Klaren, dass sie „entdeckt“ sind. Es gibt Gott – „Wohin sollte ich fliehen vor deinem Angesicht?“ (Ps 139,7) Wo wäre der Ort zwischen Himmel und Erde, an dem man sicher sein könnte vor der Wahrheit? Vor Gott kann ich mein Leben nicht frisieren; im Plural: ... können wir unsere Verhältnisse nicht schönreden. Das Tröstliche ist, dass Gott uns ausleuchtet, aber nicht verbrennt.

Mein christlicher Glaube macht es mir leichter, authentisch zu sein und mein wahres Leben zu finden. Stück um Stück kann ich die Eierschalen meiner gelogenen Identität aufbrechen und in die Taghelle Gottes kommen. Meine Kraft würde dazu nicht reichen. Aber ich bin eingeladen, mich dem anzuschließen, der die Kettenreaktion von ich-lüge-du-lügst-alle-lügen durchbrochen hat. „Dazu (bin ich) in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“ (Joh 18,37). Wahrheit ist nur ein anderer Name für Gott. Gott ist die Wahrheit – so, wie er das Licht ist. Ganz und gar durchsichtig. Ohne Widerspruch.

Nun sind wir in Finsternissen und Widersprüchen von Verfangenem berufen, mit eben diesem Gott in Kontakt zu kommen, ja uns sogar mit ihm zu vereinigen. Christus ist gekommen, um unsere Lügen abzuarbeiten, uns mit Gott zu versöhnen. Rein stehen wir da. Wir Verlogenen, wir Flüchtlinge vor der Wahrheit, vor Gott und uns selbst – wir alle sind „durch sein Blut in die Nähe gekommen.“ (Eph 2,13). Es gibt keinen Grund mehr zu lügen und keinen Anlass mehr für Vertuschung. Und dann hat Konrad Adenauer noch empfohlen: „Man soll immer die Wahrheit sagen, denn irgendwann kann man sich seine vielen Lügen nicht mehr merken.“ ∎